Von Heinz-Roger Dohms
Das Jahr hat 365 Tage. An einem dieser Tage, nämlich immer am Tag der großen Bilanzpressekonferenz, erzählen einem die Sparkassen, wie gut es ihnen geht (dabei geht es ihnen sooooo gut ja gar nicht). Und an den übrigen 364 Tagen? Erzählen sie einem, wie schlecht es ihnen geht.
Nun hat dieses sog. „Schleweis-Gestöhn“ (früher: „Fahrenschon-Gewimmer“) über die Jahre natürlich „Rechtes-Ohr-rein-linkes-Ohr-raus-Charakter“ bekommen. Dieser Tage allerding ist das Lamento dermaßen laut, dass nicht mal wir es noch ignorieren können. Erst Schleweis‘ in geschliffenem Englisch („Dear Mr Draghi“) formulierter Klagebrief an den EZB-Chef. Gestern dann Schleweis‘ gefühlt 34-seitiges „Handelsblatt“-Interview, in dessen Verlauf manche Träne geflossen sein muss („Die Möglichkeiten der Sparkassen … sind endlich“).
Jedenfalls: Geht es den Sparkassen denn wirklich soooo schlecht? Dieser Frage will Finanz-Szene.de aus obigem Anlass in einer dreiteiligen analytisch-anekdotischen Serie nachgehen. Heute „Teil 1“ zum Thema: Stimmt es wirklich, dass diese Woche die letzte bayerische Sparkasse – wie deren Chef behauptet – genau deshalb ihr Kostenlos-Konto abschaffen musste, weil sie so sehr unter der EZB-Politik leidet?
1. Um welche Sparkasse geht es?
Um die „Stadt- und Kreissparkasse Erlangen Höchstadt Herzogenaurach“, die so heißt, wie sie heißt, weil es sich um eine Fusions-Sparkasse handelt. Bilanzsumme: 6,1 Mrd. Euro. Kunden: 130.000.
Wir erlauben uns, die „Stadt- und Kreisparkasse Erlangen Höchstadt Herzogenaurach“ im weiteren Verlauf dieses Artikels der Einfachheit halber „Sparkasse Erlangen“ zu nennen.
2. Was hat ihr Chef genau gesagt?
Die Sparkasse Erlangen hat diese Woche mitgeteilt, ihr kostenloses Girokonto (das letzte dieser Art bei einer bayerischen Sparkasse) zum Jahresende abzuschaffen. Vorstandschef Johannes von Hebel begründete dies regionalen Medien zufolge explizit und ausschließlich mit der EZB-Politik.
„‚Wir haben am längsten durchgehalten“, sagt Johannes von Hebel […] Er ist stolz darauf, die letzte Sparkasse in Bayern zu sein, die ein kostenloses Online-Girokonto anbietet. Doch auch damit ist Ende des Jahres Schluss. Die Sparkasse Erlangen muss ihre Gebühren anheben. Der Grund dafür ist für von Hebel […] die Zinspolitik der Europäischen Zentralbank. […] ‚Wir werden ein Stück weit geopfert, um den wirtschaftlichen Zusammenhalt in Europa zu erhalten‘, sagt der Erlanger Sparkassenchef.“
3. Wie geht es der Sparkasse Erlangen ausweislich ihrer wichtigsten Erfolgskennziffern?
Nicht mehr tippi-toppi, aber immer noch ordentlich und besser als gedacht.
- Das Betriebsergebnis vor Bewertung lag 2018 bei 0,76% der durchschnittlichen Bilanzsumme. Das liegt leicht unter dem Sparkassen-Mittel (0,82%) und ist nicht mehr wie in den goldenen Zeiten, als die Sparkassen einen Wert von mindestens 1,0% anstrebten. Aber es sollte immer noch auskömmlich sein. Und es liegt auffällig deutlich über dem Planwert (0,67%). Wenn ein semi-seriös gemeinter Quervergleich erlaubt sei: Die ultrageile Sparkasse Aachen, über „ähnlich profitabel arbeitet wie die Citigroup“, kam zuletzt auf 1,12%. So profitabel wie die Citigroup arbeitet die Sparkasse Erlangen also nicht. Aber muss ja auch vielleicht nicht sein.
- Auch andere Kennziffern scheinen zu passen. So gibt die Sparkasse Erlangen beispielsweise ihre Cost-Income-Ratio für 2018 mit 64,2% an. Auch das ist ordentlich und deutlich besser als der Planwert (68,2%).
4. Welchen Einfluss hat die EZB-Politik auf die Sparkasse Erlangen?
Einen immensen und negativen (es sei denn, man argumentiert jetzt ganz makromäßig, dass ohne die aggressive EZB-Zinspolitik letztlich alles zusammengebrochen wäre, also auch die GuV der Sparkassen Erlangen – aber diese Debatten sind nicht unser Bier hier). In Zahlen:
- Der Zinsüberschuss ist von 2016 auf 2017 um 9% gesunken und im vergangenen Jahr um weitere 6% (wegen der vor zwei Jahren vollzogenen Fusion lassen sich leider keine längeren Zeiträume vergleichen)
- Die Zinsspanne lag zuletzt nur noch bei 1,47% der DBS. 2017 waren es noch 1,63% gewesen, im Jahr davor 1,81%.
- Die Tendenz bleibt negativ. Für 2019 erwartet die Sparkasse, dass sich die Zinsspanne auf nur noch 1,34% verengt.
5. Ist also tatsächlich alles ganz schlimm? Und liegt die Schuld allein bei der EZB?
Was auffällt, wenn man dieser Tage durch die Halbjahreszahlen deutscher Banken streift: Bei vielen Instituten hat sich der Zinsüberschuss zuletzt stabilisiert oder zieht sogar wieder an. Bei der LBBW stiegt im Vergleich zum ersten Halbjahr 2018 um 2%, bei der HSBC Deutschland um 10%, bei der Apobank um 5%.
Und übrigens: Das mit den wieder steigenden Zinsüberschüssen ist nicht zwingend nur ein 2019er-Phänomen. Bei der Apobank zum Beispiel (das fiel uns dieser Tage zufällig auf, als wir wegen einer anderen Sachen in der letztjährigen GuV waren) ist das Zinsergebnis auch 2018 schon um hübsche knapp 6% gestiegen.
Nun ist das „deutsche Ärzte- und Apothekertum“ eine andere Zielgrupe als „die Menschen in der Region Erlangen“. Und wenn man so frech ist, die Sparkasse Erlangen mit der LBBW oder der deutschen HSBC zu vergleichen – dann muss man fairerweise hinzufügen, dass die Sparkassen auf der Funding-Seite schwierigeren Bedingungen unterliegen. Denn: Eine Großbank, die sich überwiegend über „Wholesale“ refinanziert, profitiert von den Negativzinsen am Kapitalmarkt, während die Sparkassen ihren Sparern immerhin noch einen Nullzins anbieten.
Doch trotz all dieser Einschränkungen. Tatsache ist: Es gibt Banken, die es momentan schaffen, den Verfall beim Zinsergebnis trotz EZB-Politik zu stoppen bzw. den Trend sogar umzukehren. Die Sparkassen Erlangen schafft es (warum auch immer) nicht.
Und Teil der Wahrheit ist auch, dass die Sparkasse Erlangen unter der EZB-Politik nicht nur leidet, sondern teilweise von ihr profitiert, auch wenn Herr von Hebel das nicht öffentlich sagt. So wurde der Anstieg bei den Einlagen (um gut 300 Mio Euro auf rund 5 Mrd. Euro) durch den parallelen Anstieg der Kreditvolumens (um gut 200 Mio. Euro auf 3,5 Mrd. Euro) fast vollständig absorbiert. In ihrem Abschluss räumt die Sparkasse unumwunden ein, dass der Niedrigzins das Geschäft massiv anschiebt:
„Die Forderungen an Kunden […] sind um 8,1 % auf 4.033.132 TEUR gestiegen. […] Darüber hinaus sind erneut hohe Kreditzusagen im Wohnungsbau- Finanzierungsgeschäft zu verzeichnen. Wir führen diese Entwicklung auf das ungebrochene Bedürfnis unserer Kunden nach Sachwerten bei einer anhaltenden Niedrigzinsphase zurück. Aufgrund dieser Sachverhalte wurden unsere Erwartungen übertroffen.“
Letzter Punkt: Der oft zitierte Strafzins der EZB ist in der GuV der Sparkasse Erlangen eine überschaubare Größe: Das Volumen „abgesetzter negativer Zinsen“ lag zuletzt bei gut 600.000 Euro.
6. Resümee
Natürlich setzen die niedrigen Zinsen der Sparkasse Erlangen zu. Das bislang kostenlose Online-Girokonto zu bepreisen, ist vor diesem Hintergrund ein nachvollziehbarer und vermutlich auch vernünftiger Schritt.
Zumal: Angesichts von rund 90.000 Kunden, die dieses Modell bislang nutzen und künftig 3,95 pro Monat berappen sollen, ist da durchaus was zu holen. Angenommen, 90% der betroffenen Kunden bleiben der Bank trotz Entgelt treu – dann spült die Maßnahme im nächsten Jahr fast 4 Mio. Euro Ertrag in die Kasse. Das ist das Sechsfache dessen, was die Franken in diesem Jahr an Strafzinsen an die EZB überweisen mussten. Kein schlechter Deal.
So – um diese Zahlen aber auch nochmal in ein anderes Verhältnis zu setzen: In der 2018er-GuV findet sich ein Posten, der sich „Erträge aus Zuschreibungen zu Forderungen und bestimmten Wertpapieren sowie aus der Auflösung von Rückstellungen im Kreditgeschäft“ nennt. Diese Erlösposition war im vergangenen Jahr stolze 41,5 Mio. Euro schwer, taucht im Jahresüberschuss dann aber gar nicht mehr auf (der nämlich belief sich gerade mal auf 8,5 Mio. Euro).
Was ist passiert? Die Sparkasse Erlangen hat im vergangenen Jahr mal eben stille Reserven in Höhe von rund 43 Mio. Euro gehoben, etwa das 65-Fache der an die EZB abgeführten Strafzinsen
Die Möglichkeiten der Sparkassen sind endlich? Och, ein bisserl was scheint noch zu gehen.
Weil N26 erfolgreich ist, soll man sich mit Kritik zurückhalten? Interessante Sicht der Dinge. Aber sei’s drum. Kuljurgis‘ Umarmung jedenfalls ist so allumfassend, dass sie gleich für beide reicht, für den Grover-CFO und für die Digitalbank.
Unterdessen wird die Kommentar-Spalte unter Antoniolis Beitrag immer länger. Nun schlägt die Stunde der Lösungsorientierten, die versuchen, diverse N26-Manager per „Tag“ auf Antoniolis Problem aufmerksam zu machen.
„Martin Schilling, surely this can be sorted“, schreibt ein Nutzer, der sich selber ohne falsche Bescheidenheit als „astute, experienced and decisive business leader“ charakteristiert.
Martin Schilling, das zur Erläuterung, ist der COO von N26. Doch der COO reagiert nicht. N26 ist zwar eine digitale Bank, aber mit Linkedin, so scheint es, haben ihre Manager eher wenig am Hut.
Noch ein Versuch: „Let see if the INSEAD network works“, schreibt ein mutmaßlicher Insead-Absolvent und taggt Will Sorby an, der auch ein Insead-Alumni ist, vor allem aber UK-Chef von N26. Doch auch hier: Keine Reaktion.
Erste Fintech-Promis versuchen, ihre Kontakte spielen zu lassen. Sven Weizenegger, Mitgründer von Perseus, schreibt: „Gerrit Glass. Can you help?“ Gerrit Glass, bei N26 für die internationale Expansion zuständig, rührt sich nicht. René Griemens, dem früheren Finanzchef von Kreditech, wird die Sache jetzt zu bunt. Er will die Dinge offenbar regeln, wie man sie früher geregelt hat, von Mann zu Mann, von C-Level zu C-Level, auf dem kurzen Dienstweg. Also schreibt er einfach nur: „Valentin S.“ Doch auch der auf diese Weise getaggte Valentin Stalf, Gründer und CEO von N26, reagiert nicht.
Verflixt.
Der Freitag vergeht. Der Samstag vergeht. Der Sonntag vergeht. Der Montag geht auf Mitternacht zu. Und plötzlich meldet sich: Georg Hauer, der neue N26-General-Manager für den deutschen Markt. Offenbar gibt es bei der Berliner Digitalbank also wenigstens einen Großkopferten, der mitbekommt, dass bei Linkedin zu diesem Zeitpunkt seit rund 100 Stunden über N26 abgelästert wird.
Nun sei mal dahingestellt, wie „happy“ das Team wirklich ist. Jedenfalls passiert der Linkedin-Timeline zufolge nach dem Hauer-Kommentar rund neun Stunden lang nichts (mag sein, dass der Grover-CFO ein Mann mit einem gesegneten Schlaf ist) – bis Thomas Antonioli schließlich antwortet: „Thanks Georg, PM‘d you.“
Daumen hoch!, kann man da nur sagen.
Und jetzt noch, wie es zu alldem gekommen ist.
Also: Nach Recherchen von Finanz-Szene.de soll Antonioli tatsächlich im Dispo gewesen sein, kommt ja mal vor, zumal bei einem N26-Konto. Ein Kundenbetreuer bat ihn daraufhin, den Dispo auszugleichen, nannte in der entsprechenden E-Mail aber eine viel zu niedrige Summe (offenbar ein Vertipper). Antonioli jedenfalls überwies den Betrag, den ihm N26 genannt hatte, und sogar noch ein bisschen mehr. Damit wähnte er das Konto (aus seiner Sicht: zurecht …) wieder im Plus, in Wahrheit war es aber weiterhin im Minus, wenn auch nicht mehr so stark.
Danach müssen die Dinge irgendwie eskaliert sein: N26 kündigte schließlich das Konto, Antonioli beschwerte sich, kam damit aber offenbar nicht durch, und irgendwann sah er keinen anderen Ausweg mehr, als seinen Rant bei Linkedin abzusetzen. Den Rest, liebe Leserinnen und Leser, kennen Sie. Ach nein, das Ende kennen Sie noch nicht. Antonioli und N26 haben sich ausgesprochen, der Grover-CFO bleibt Kunde bzw. wird wieder Kunde, Big Hug.
Was zurückbleibt, ist die Frage: Mal angenommen, Herr Antonioli wäre nicht Herr Antonioli, sondern irgendein x-beliebiger Kunde, der nicht in der Lage ist, die halbe Berliner Startup-Community sowie das Insead-Netzwerk aufzuscheuchen … Wie wäre der Fall dann ausgegangen?
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