Exklusiv

Wirecard macht rund viermal (!) so viel Marge wie Adyen – aber warum?

Was steckt hinter dem Hype um Wirecard? Wie gut ist das Unternehmen wirklich, wie funktioniert das Geschäftsmodell, wie erklärt sich der irre Börsenwert von mittlerweile rund 24 Mrd. Euro? Mit diesen Fragen hat sich „Finanz-Szene.de“-Analyst Thomas Borgwerth in tagelange Klausur begeben. Als Schablone für seine Untersuchung diente ihm der ähnlich umjubelte niederländische Zahlungsdienstleister Adyen, der bekanntlich im Frühjahr an die Börse ging – und auch schon auf einen Market Cap von 18 Mrd. Euro kommt. Borgwerth ist also tief in die Geschäftsberichte beider Firmen eingetaucht, hat unzählige Kennzahlen miteinander verglichen – und kommt zu verblüffenden Ergebnissen, wie er im Gespräch mit „Finanz-Szene.de“-Betreiber Heinz-Roger Dohms erläutert. Denn: Obwohl Wirecard und Adyen beinahe identische Geschäftsmodelle verfolgen, gibt es bei entscheidenden Kennzahlen gewaltige Unterschiede. Wie kann das sein?

Finanz-Szene.de: Herr Borgwerth, wer sich in den vergangenen Monaten  mit der europäischen Finanzbranche befasst hat, der fragt sich: Was steckt hinter dem irren Börsenhype um die beiden Online-Payment-Spezialisten Wirecard und Adyen. Können Sie es uns erklären?

Borgwerth: Ich will es versuchen …

Finanz-Szene.de: Verraten Sie uns doch bitte erst einmal, wie Sie vorgegangen sind.

Borgwerth: Da die Payment-Branche ein sehr weites Feld ist, habe ich auf Basis öffentlich zugänglicher Dokumente wie Geschäftsberichte, Präsentationen oder dem Adyen-Börsenprospekt zunächst einmal untersucht, ob die beiden Unternehmen und ihre Geschäftsmodelle überhaupt miteinander vergleichbar sind. Dieser Steckbrief-artige Überblick ist dabei herausgekommen:

Adyen Wirecard
Branche Payment Service Provider Payment Service Provider
Aufnahme der heutigen Tätigkeit 2006 ungefähr 2004 (die Gründung war schon 1999)
Transaktionsvolumen 108 Mrd. Euro 91 Mrd. Euro
Anzahl Kunden 3.400 36.000
Transaktionsvolumen pro Kunde 32 Mio. Euro 2,5 Mio. Euro
Nettoumsatz 218 Mio. Euro 701 Mio. Euro
Ergebnis nach Steuern 71 Mio. Euro 260 Mio. Euro
Hauptgeschäftsfeld Akzeptanz u. Verarbeitung
von Kartenzahlungen
Akzeptanz u. Verarbeitung
von Kartenzahlungen
Plattform integriert, international,
multi-channel
integriert, international,
multi-channel
Karten-Akzeptanz Anbindung an alle international tätigen Kreditkartenorganisationen sowie eine Vielzahl regionaler oder lokaler Bezahlarten Anbindung an alle international tätigen Kreditkartenorganisationen sowie eine Vielzahl regionaler oder lokaler Bezahlarten
Bezahlwege online, mobile und (POS) online, mobile und (POS)
Leistungskette Gateway, Risk Management,
Akzeptanz u. Verarbeitung
Gateway, Risk Management,
Akzeptanz u. Verarbeitung
weitere Leistungen Datenanalyse-Tools Datenanalyse-Tools,
White-Label Couponing (Loyalty),
Call-Center
regionale Acquiring-Lizenzen Europa, Hong Kong, Singapur, Australien, Neuseeland Europa
weitere Lizenzen Bank-Lizenz (Europa) Bank-Lizenz (Europa)
E-Money-Lizenz (GB, Türkei)
BIN-Sponsorship Vereinbarungen für: USA, Kanada, Brasilien Rest der Welt (keine näheren Angaben)
sonstige Leistugen POS- Hardware, sonstige nicht transaktionsbasierte Umsätze, (Anteil 5%) Issuing (Anteil 14%)
sonstige nicht transaktionsbasierte Umsätze (Anteil 7%)
regionale Umsatzaufteilung Europa 60 %,
Amerika 33 %,
Asien u. Rest der Welt 7 %
Europa 50 %,
Amerika u. Afrika 9 %,
Asien u. Pazifik 41 %
Kundenfokussierung große multinationale Unternehmen keine Fokusierung
USP (eigene Angaben) Vollständige End-to-End-Zahlungsstapel-Verarbeitung. Starke Wertschöpfungskette, die zu hohen Margen führt.
Die einheitliche Plattform bietet erhebliche Vorteile in Bezug auf Verwaltung, Betrieb, Effizienz, Robustheit und Agilität bei der schnellen Einführung neuer Funktionen. Zunehmende Konvertierung durch digitalisierte Datenschichten, die Datenquellen via dynamische Algoritmen verbindet
Voll ausgereifte Plattform, die im eigenen Haus betrieben wird. Alle neuen Funktionen werden unter Berücksichtigung der Skalierbarkeit entwickelt. Wettbewerbsvorteil bei der Einführung der Wirecard-Plattform und Innovationen im globalen Maßstab

Finanz-Szene.de: Das liest sich so, als lägen die Unterschiede zwischen beiden Unternehmen eher in den Details …

Borgwerth: So ist es. Was Alter, abgewickeltes Transaktionsvolumen, Tätigkeitsschwerpunkt und internationale Ausrichtung angeht, sind Adyen und Wirecard sehr gut vergleichbar. Das Herzstück beider Gesellschaften ist eine digitale Plattform zur Abwicklung von Zahlungs-Transaktionen. Glaubt man den Angaben der Unternehmen, dann bieten die beiden Plattformen sogar eine fast identische Funktionalität.

Finanz-Szene.de: Hat Sie das überrascht?

Borgwerth: Nicht unbedingt. Die klassischen Zahlungsabwicklungsarten wie das Acquiring sind hochgradig standardisierte Dienstleistungen. Die Wertschöpfungskette (Gateway – Risk Management – Akzeptanz – Zahlungsverarbeitung) bietet kaum noch Möglichkeiten der Differenzierung. Schnelligkeit und absolute Zuverlässigkeit sind ein Muss. Leistungskennzahlen, über die sich Anbieter abheben könnten wie z.B. die Abbruchrate während des Bezahlvorgangs („churn rate“) oder die Umsetzungsrate bei der Betrugsprävention („conversion rate“), sollten bei allen ernst zu nehmenden Anbietern ein Niveau erreicht haben, das auch hier eine Differenzierung kaum noch ermöglicht. Sogar die künstliche Intelligenz hat eigenen Angaben zufolge sowohl bei Adyen als auch bei Wirecard längst Einzug ins Risk Management gehalten. Das Acquiring ist ein hochvolumiges, sehr preissensitives Standardgeschäft – so wie das in reifen Branchen üblich ist.

Finanz-Szene.de: Reife Branche? Wirecard ist im Grunde ein Fintech, Adyen spricht von disruptiver Technologie …

Borgwerth: An der Wertschöpfungskette als solcher ist aber nichts disruptiv – die ist seit Jahrzehnten etabliert. Was sich in den letzten Jahren hingegen dramatisch verändert hat, das sind der Kundenzugang und die neuen Bezahlverfahren. Hier haben die klassischen Acquirer  technologisch und auch generell den Anschluss verloren, weil ihnen mit den international agierenden Payment Service Providern (PSP) übermächtige Konkurrenten erwachsen sind.

Finanz-Szene.de: Das müssen sie erklären …

Borgwerth: Um die Verdrängung des klassischen Acquirers durch den modernen PSP zu verstehen, hilft ein Blick zurück in die analoge Welt: Der Acquirer am herkömmlichen Point of Sale war in aller Regel die Hausbank des Einzelhändlers. Mit der Kontoverbindung war der Kunde für das Acquiring so gut wie gewonnen. Der sich entwickelnde Onlinehandel stellte aber weit höhere Anforderungen an einen Zahlungsdienstleister als lediglich eine Datenverbindung aufzubauen und das Terminal mit dem Kassensystem des Händlers zu verknüpfen, wenn letzteres überhaupt verlangt wurde. Liest man alte Geschäftsberichte der Wirecard AG z.B. aus 2004, dann verstand sich das Unternehmen damals als Outsourcing-Partner für unternehmensinterne IT-Prozesse im Zusammenhang mit Finanzströmen (Financial Supply Chain). Denn der Onlinehandel verlangte eine viel höhere Automatisierung der Finanzflüsse und eine engere Verzahnung mit den internen Prozessen als der stationäre Handel.

Finanz-Szene.de: Und in diese Lücke stießen die technologisch disruptiven Payment Service Provider heutiger Prägung – sprich: die Adyens und Wirecards? 

Borgwerth: Genau. Für diese tiefe Integration der Zahlungsprozesse in die internen Prozesse der Kunden fehlte den Acquirern alter Prägung das Knowhow. Waren in den Anfangsjahren des Onlinehandels vielleicht noch überwiegend individuelle Kundenlösungen gefragt, so verfügen sowohl Adyen als auch Wirecard heute über standardisierte Gateways und eine jeweils einheitliche Zahlungsplattform, die länderübergreifend alle Bezahlwege vereint und unterschiedlichste Bezahlarten zulässt. Mit eigenen Acquiring-Lizenzen ist auch das Acquiring im engeren Sinn heute ein Element der verlängerten Wertschöpfungskette der Payment Service Provider geworden. Diese Zahlungsplattformen sind das Key-Asset sowohl von Adyen als auch von Wirecard. Ich habe mir mal den Spaß erlaubt zu zählen, wie oft die Begriffe „Plattform“, „Zahlungsplattform“ bzw. „Softwareplattform“ im 2017er-Geschäftbericht von Wirecard vorkommen.

Finanz-Szene.de: Und?

Borwerth: 108-mal, davon 9-mal im Vorwort des Vorstandschefs. Im 2016er-Bericht tauchen die Begriffe übrigens erst 68-mal auf, davon 3-mal im Vorwort.

Finanz-Szene: Moderne Plattform-PSPs wie Adyen und Wirecard haben also die klassischen Acquirer verdrängt, unterscheiden sich aber kaum voneinander.

Borgwerth: Richtig. Die beschriebenen Kernfunktionalitäten sind bei beiden Unternehmen die gleichen. Sie bieten die drei gängigen Zugangswege (also Point of Sale, online und mobil) und eine fast unüberschaubare Anzahl an alternative Bezahlarten (wie z.B. Paypal oder Giropay, um nur zwei zu nennen). Wobei das Bezahlen mit Kreditkarte international nach wie vor die dominierende Bezahlart darstellt.

Finanz-Szene.de: Wo gibt es dennoch Unterschiede?

Borgwerth: Dafür muss man schon tief graben. Unterschiede gibt es zum Beispiel bei den Datenanalyse-Tools. Aber auch hier ist es vom Grundsatz her so, dass sowohl Adyen als auch Wirecard ihren Händlern solche Auswertungstools an die Hand geben. Damit können die Händler dann die Daten, die aus den Bezahlvorgängen generiert werden, mit ihren eigenen Kundendaten verknüpfen und auswerten.

Finanz-Szene.de: Haben Sie noch ein Beispiel?

Borgwerth: Ja, auch bei Zahlungsabwicklung-Tools z.B.  für Marktplätze wie Ebay, Etsy oder Airbnb gibt es Unterschiede. Hier bietet Adyen eine besondere Lösung für diese Handelsplattformen an, um die Zahlungen an die Marktplatzhändler durchzuführen und dabei gleichzeitig die grundsätzlich höheren regulatorischen Anforderungen an die Zahlungsabwicklung (Stichwort KYC, „know your customer“) zu gewährleisten. Aber auch Wirecard hat mit der Rakuten Deutschland GmbH einen Marktplatzbetreiber als Kunden, stellt in diesem Zusammenhang aber keine besondere Leistung heraus. Und wenn Sie noch ein Beispiel wollen: Wirecard bietet noch das sogenannte „White label couponing“ an: Damit ermöglicht die Firma es ihren Kunden, neben dem reinen Bezahlvorgang auch Gutscheinprogramme abzuwickeln und hierdurch die Bindung der Händlerkunden zu erhöhen. Adyen nennt an dieser Stelle nichts Vergleichbares. Ob solche Zusatzleitungen aber letztlich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz darstellen, ist nur schwer zu beurteilen. Für eine echte Differenzierung scheinen mir  solche zusätzlichen Dienstleistungen nicht bedeutend genug.

Finanz-Szene.de: Es gibt freilich einen Unterschied, der bei der Betrachtung Ihrer obigen Tabelle sofort auffällt: Wirecard braucht rund zehnmal so viele Kunden wie Adyen, um auf eine vergleichbares Transaktionsvolumen zu kommen. Warum ist das so?

Borgwerth: Das dürfte daran liegen, dass Adyen als Kunden große multinationale Unternehmen adressiert …

Finanz-Szene.de: … wie beispielsweise Ebay …

Borgwerth: Ja – wobei die Analyse auf den 2017er-Zahlen beruht. Ebay ist da noch nicht mit drin, wohl aber Konzerne wie Netflix, Uber oder Spotify. Jedenfalls: Wirecard hat eine viel breitere Kundenbasis, macht mit einem durchschnittlichen Kunden allerdings auch nur 2,5 Mio. Euro Transaktionsvolumen. Da reden wir nicht mehr über multinationale Unternehmen, sondern über ganz normale Online-Shops.

Finanz-Szene.de: In Vorbereitung auf unser Gespräch haben Sie mir einige weitere Excel-Dateien geschickt, aus denen zum Beispiel hervorgeht, dass Wirecard nicht nur viel mehr Kunden, sondern auch deutlich mehr Mitarbeiter hat …

Adyen
2017 2016 2015
Forschung u. Entwicklung / IT 260 k.A. k.A.
Kundenservice k.A. k.A. k.A.
Vertrieb 274 k.A. k.A.
Verwaltung k.A. k.A. k.A.
Mitarbeiter, gesamt 668 464 338
Wirecard
2017 2016 2015
Forschung u. Entwicklung / IT 2.151 1.786 947
Kundenservice 914 686 678
Vertrieb 883 873 401
Verwaltung 501 421 274
Mitarbeiter, gesamt 4.449 3.766 2.300

… Ende 2017 waren es fast 4.500, während Adyen mit nicht einmal 700 Beschäftigten auskam. Was sagt uns das? Ist Wirecard das größere Unternehmen oder einfach nur das kleinteiligere?

Borgwerth: In jedem Fall arbeitet Wirecard mit einem ungleich größeren Aufwand. Das gilt nicht nur für den Personalbereich, sondern ganz generell. Erhellend sind in diesem Zusammenhang die Kosten der Leistungsbereitstellung, also die gesamten Personal- und Sachkosten sowie die AfA (ohne M&A). Da kam Adyen im vergangenen Jahr über alle Geschäftsbereiche hinweg mit 126 Mio. Euro aus, während es bei Wirecard 345 Mio. Euro waren (wobei ich hier die Aufwendungen für selbsterstellte Software und die sonstigen betrieblichen Erträge saubererweise abgezogen habe).

Adyen
2017 2016 2015 CAGR
Kosten der Leistungsbereitstellung 126 94 57 48,7%
Wirecard
2017 2016 2015 CAGR
Kosten der Leistungsbereitstellung 345 229 155 49,2%

… Auf Basis des gesamten Transaktionsvolumens kommen Sie bei Wirecard auf einen Wert von 0,38%, bei Adyen sind es hingegen nur 0,12%.

Finanz-Szene.de: Haben Sie hierfür eine Erklärung?

Borgwerth: Auf Basis der sehr viel breiteren Kundenbasis im Vergleich zu Adyen dürfte Wirecard deutlich höhere Aufwendungen für Vertrieb und Kundenservice haben – Kosten, die sich über höhere Preise aber sicherlich auf die Händler abwälzen lassen. Wofür ich hingegen keine richtige Erklärung finde, das sind der um den Faktor 8 höhere Personalbestand bei der Entwicklung und in der IT und die hiermit verbundenen Kosten. Und noch erstaunlicher sind die bei Wirecard immens hohen Investitionen in erworbene sowie selbsterstellte Software (wiederum jeweils in Mio. Euro):

Adyen
2017 2016 2015
Software, Bruttovermögen 7,5 6,1 4,1
Laufende Investitionen 1,3 2,0 1,6
Wirecard
2017 2016 2015
Software, Bruttovermögen 376 286 221
Laufende Investitionen 93 59 42

… Wirecard hat im Vergleich zu Adyen also rund 50-mal so viel Geld investiert. Auch die laufenden Investitionen der zurückliegenden drei Jahre übersteigen die Investitionen bei Adyen immer noch um den Faktor 40; Tendenz  steigend. Während bei Adyen die laufenden Investitionen finanziell eine vernachlässigbare Größe darstellen, muss Wirecard gewaltige finanzielle Mittel aufwenden, um den laufenden Betrieb und das Wachstum sicherzustellen. Und das, obwohl das Wachstum von Wirecard – anders als das von Adyen – auch auf einer seit Jahren sehr regen Akquisitionstätigkeit beruht. Die M&A-Investitionen sind hier aber noch nicht einmal eingerechnet. Das ganze  M&A-Thema  schlägt in meinen Berechnungen lediglich in etwas höheren  betrieblichen Aufwendungen nieder, etwa durch Integrationskosten oder durch Honorare, die für entsprechende Berater und Juristen anfallen.

Finanz-Szene.de: Wirecard begründet den größeren Kostenapparat unter anderem damit, dass sechs bis sieben Prozent des Umsatzes in Forschung und Entwicklung reinvestiert werden. Denn: Jede neue Technologie sei im Grunde nur eine Brücke zur nächsten neuen Technologie. Hinzukommt, dass zu Wirecard ja auch eine eigene Bank gehört – was zusätzliches Personal erfordert, etwa um den Anforderungen der Regulierung gerecht zu werden. Aber zurück zu ihren Tabellen: Eigentlich würde man ja vermuten, dass bei dem Unternehmen, das ein viel größeres Rad dreht, um auf ein vergleichbares Transaktionsvolumen zu kommen, unterm Strich entsprechend weniger rumkommt. Doch wenn ich Ihre Excel-Sheets nicht völlig falsch verstehe, ist das glatte Gegenteil der Fall: Wirecard hat 2017 ein Vorsteuerergebnis von 297 Mio. Euro erzielt, bei Adyen waren es nur 92 Mio. Euro.

Borgwerth: So ist es. Um das zu verstehen, muss man sich folgende Tabellen anschauen …

Adyen
(Processing und Acquiring) 2017 2016 2015 CAGR
Transaktionsvolumen in Mrd. 108 66 32 83,7%
Anzahl Transaktionen in Mrd. 3,7 2,3 0,9 102,8%
Bruttoumsatz 965 622 319 73,9%
Transaktionsmarge, brutto 0,89% 0,94% 1,00% -5,3%
gezahlte Transaktionsgebühren 781 494 231 83,9%
gezahlte Transaktionsmarge 0,72% 0,75% 0,72% 0,1%
Nettoumsatz 184 128 88 44,6%
Transaktionsmarge, netto 0,17% 0,19% 0,28% -21,3%
Nettogebühr pro 100 € 0,17 0,19 0,28 -21,3%
Wirecard
(Processing und Acquiring) 2017 2016 2015 CAGR
Transaktionsvolumen in Mrd. 82 59 42,5 38,9%
Anzahl Transaktionen in Mrd. k.A k.A. k.A.
Bruttoumsatz 1.189 883 653 34,9%
Transaktionsmarge, brutto 1,45% 1,50% 1,54% -2,9%
gezahlte Transaktionsgebühren 599 444 346 31,6%
gezahlte Transaktionsmarge 0,73% 0,75% 0,81% -5,3%
Nettoumsatz 590 439 307 38,6%
Transaktionsmarge, netto 0,72% 0,74% 0,72% -0,2%
Nettogebühr pro 100 € 0,72 0,74 0,72 -0,2%

Finanz-Szene.de: … wobei wir hier jetzt nochmal kurz ausholen müssen – denn die Zahlen finden sich so nicht 1:1 in den Geschäftsberichten.

Borgwerth: Richtig. Ich wollte die Zahlen von Adyen und Wirecard möglichst vergleichbar machen – und habe mich darum auf die beiden Kerndienstleistungen des modernen Plattform-PSPs fokussiert, also auf das Processing und aufs Acquiring. Dazu habe ich bei Adyen den Hardware-Umsatz und die korrespondierenden Hardware-Kosten herausgerechnet. Bei Wirecard musste ich aufgrund des Spartenzuschnitts eine etwas umfangreichere Operation anstellen. Die Zahlen aus der Processing-Sparte habe ich logischerweise komplett eingerechnet. Dagegen habe ich die Zahlen aus der Sparte „Acquiring & Issuing“ um das Issuing-Geschäft bereinigt. Zudem musste ich das Transaktionsvolumen des Issuings schätzen, was auf Basis von Unternehmenspräsentation aber ganz gut möglich ist. Und schließlich habe ich – wie bei Adyen – die Umsätze und die Kosten aus dem sonstigen Geschäft (auch hier ging es u.a. um die Hardware) eliminiert, wofür ich eine weitere Annahme treffen musste, nämlich dass die Kosten bei 50% liegen (wobei es eher weniger sein dürften).

Finanz-Szene.de: Okay, okay. Was jedenfalls auffällt: Bei Adyen beträgt die Nettomarge ausweislich Ihrer Berechnungen lediglich 0,17%, bei Wirecard sind es 0,72%.

Borgwerth: Genau – das ist die zentrale Kennziffer, aus der sich die entscheidende Frage ableitet: Wie schafft Wirecard es, aus einem nahezu identischen Geschäftsmodell in einer margenarmen Branche die rund vierfache Marge herauszuholen.

Finanz-Szene.de: … immer vorausgesetzt, Ihre vielen Berechnungen und Annahmen stimmen. Finden sich in den Geschäftsberichten keine Margenzahlen, die sich für den Leser ein bisschen leichter nachvollziehen lassen?

Borgwert: Doch. Würde man schlicht die Zahlen aus dem Geschäftsbericht nehmen, also inklusive Hardware und Issuing, dann kommt man bei Wirecard auf eine Nettomarge von 0,77%  und bei Adyen von 0,20%. Diese Zahlen ergeben sich, indem man den Rohertrag durch das Transaktionsvolumen dividiert.

Finanz-Szene.de: Kurzum, einen Tod müssen wir sterben. Entweder wir rechnen sämtliche Geschäftsbereiche mit ein – oder wir müssen uns auf Ihre Annahmen verlassen.

Borgwerth: Genau. Doch sie sehen ja, auch bei der Nettomarge für das Gesamtgeschäft ergibt sich in etwa der Faktor 4 – was natürlich kein Zufall ist, denn das Gesamtgeschäft besteht ja in erster Linie aus Processing und Acquiring

Finanz-Szene.de: Das kann ja dann eigentlich nur bedeuten, dass die Marge von Wirecard extrem hoch ist und die von Adyen extrem niedrig. Oder?

Borgwerth: Die Marge von Adyen ist niedrig, kein Zweifel, ob sie „extrem“ niedrig ist, weiß ich nicht mal. Um einen weiteren Vergleichswert zu besitzen, habe ich mir noch einen weiteren großen europäischen Wettbewerber angeschaut, nämlich Worldpay. Dort sind es – bezogen rein aufs Processing und aufs Acquiring – 0,32%.

Finanz-Szene.de: Was sagt uns das nun?

Borgwerth: Aus Analystensicht ist die Strategie von Adyen sehr gut nachvollziehbar. Das Unternehmen verfolgt einen explizit organischen Wachstumskurs –  und geht dabei preisaggressiv zu Werke. Auf diese Weise wurden in den vergangenen zwei Jahren ein gewaltiges Wachstum generiert und erhebliche Skaleneffekte realisiert, die vollständig an die Kunden weitergereicht wurden, auch auf Kosten der Marge.

Finanz-Szene.de: Lässt sich der Erfolg von Adyen also mit dem Wort „Effizienz“ zusammenfassen und der von Wirecard mit dem Wort „Preismacht“?

Borgwerth: Bei Adyen unterschreibe ich das sofort – alle wesentlichen Kennzahlen deuten darauf hin, dass wir es hier mit einem ungeheuer effizienten Unternehmen zu tun haben. Die Halbjahreszahlen für 2018 bestätigen diesen Eindruck übrigens. Bei Wirecard hingegen tue ich mich deutlich schwerer. Natürlich ist es so, dass das Geschäft mit kleineren Online-Händlern höhermargig ist als das mit multinationalen Unternehmen. Dieser Umstand kann aus meiner Sicht aber keine um den Faktor 4 höhere Nettomarge erklären – auch dann nicht, wenn man bei Adyen einen Margenverzicht in Rechnung stellt. Preismacht beruht auf fehlendem Wettbewerb oder auf einer Abhängigkeit der Kunden von einem bestimmten Wettbewerber. Die mir zu Wirecard vorliegenden Unterlagen geben hierzu keine Hinweise.

Finanz-Szene.de: Vonseiten Wirecards wird darauf verwiesen, dass die Zahlen nicht wirklich vergleichbar seien, weil Adyen in erster Linie ein Processing-Spezialist sei, Wirecard hingegen in erster Linie ein Acquiring-Spezialist. Beim Processing handelt es um die reine Abwicklung, dagegen bedeutet Acquiring klassischerweise, dass man das Risiko für einen möglichen Ausfall übernimmt. Dieses Risiko stellt der Acquirer dem Händler natürlich in Rechnung, woraus sich eine höhere Marge ergeben dürfte.

Borgwerth: Das ist richtig, jedenfalls solange es nicht zu höheren Ausfällen kommt, die dann wiederum die Marge drücken. Aber lassen Sie mich bitte auf das Argument eingehen, Adyen sei in erster Linie ein Processing-Spezialist. Ich habe mich sehr intensiv mit dem Börsenprospekt von Adyen befasst. Tatsächlich findet sich da auf Seite 82 folgender Satz: „In addition, in order to manage related chargeback risks, Adyen provides only gateway services in relation to certain merchants, based on a risk assessment, that sell goods or services well in advance of the date of their delivery or use. In such cases, Adyen instead partners with both a local processor and acquirer.“

Finanz-Szene.de: Das bedeutet, dass sich Adyen in Branchen, in denen die Kunden weit im Voraus zahlen müssen – also Beispiel bei Airlines – tatsächlich mit dem Acquiring zurückhält und sich auf die Rolle als reiner PSP-Dienstleister beschränkt.

Borgwerth: Genau. Aber hierbei scheint es sich um Ausnahmen zu handeln. Denn wiederum laut Börsenprospekt erzielte Adyen 2017 eine Nettogebühr aus dem Processing von 94 Mio. Euro und aus dem sog. Acquirer-Mark-up von 91 Mio. Euro.

Finanz-Szene.de: Das Acquirer-Mark-up ist nochmal genau was?

Borgwerth: Das ist die Acquiring-Spanne, die sich ergibt, wenn man von der gesamten „Settlement-Fee“ die Gebühr für die Kreditkartenfirma und die Gebühr für den Issuer (also für die kartenausgebende Bank) abzieht. Adyen erlöst also im Acquiring fast genau so viel Geld wie im Processing.

Finanz-Szene.de: Wie stellt sich dieses Verhältnis bei Wirecard dar?

Borgwerth: Für Wirecard lässt sich diese Berechnung auf Basis der veröffentlichten Zahlen leider nicht vornehmen. Aber selbst wenn der Acquiring-Anteil ein gutes Stück höher sein sollte, begründet auch das meiner Meinung nicht den gewaltigen Unterschied bei der Marge. Denn dafür müsste Wirecard ja sehr, sehr viele Kunden mit relativ hohem Risiko (und entsprechend höherem Ertragspotenzial) bedienen – die aber trotzdem praktisch keine Ausfälle verursachen. Denn die Forderungsabschreibungen bei Wirecard sind meinen Berechnungen zufolge schon seit Jahren eine eher zu vernachlässigende Größe.

Finanz-Szene.de: Was ist mit den anderen Unterschieden? Wirecard weist auf seine Wertschöpfungstiefe hin, die sich unter anderem aus der eigenen Banktochter ergebe – über diese  Banktochter kann das Unternehmen seinen Kunden zum Beispiel Kontoservices anbieten. Auch bei den Bezahlmethoden kann es Unterschiede geben …

Borgwerth: Natürlich gibt es in der Theorie eine ganze Reihe von möglichen Erklärungen für Margendifferenzen zwischen Adyen und Wirecard. Über die unterschiedliche Kundenstruktur haben wir ja schon gesprochen. Oder, ein anderes Beispiel: In Studien über die Payment-Branche ist immer wieder zu lesen, dass die Preistransparenz trotz Regulierung immer noch gering sei. Mag sein, dass dies in Asien, wo Wirecard einen deutlich größeren Teil seines Geschäfts macht als Adyen, in besonderem Maße der Fall ist. Aber nochmal: Wir reden hier nicht über normale Unterschiede in der Marge, wie sie bei zwei verschiedenen Unternehmen logischerweise fast immer auftreten. Wir reden hier grob gesagt über einen Unterschied um den Faktor 4!

Finanz-Szene.de: Eigentlich wollten wir mit der Analyse ja herausfinden, ob der Hype um Wirecard und Adyen berechtigt ist. Wie lautet Ihr Fazit?

Borgwerth: Aus Analystensicht würde ich sagen: Der Erfolg von Adyen lässt sich auf Basis der veröffentlichten Zahlen sehr gut nachvollziehen, auch wenn das natürlich nicht heißt, dass man den Aktienkurs für gerechtfertigt halten muss. Bei Wirecard  tue ich mich ungleich schwerer. Wie bei zwei Unternehmen, die ein derart ähnliches Geschäftsmodell verfolgen, die Margen so weit auseinanderklaffen können, ist für mich rätselhaft.

Rechtehinweis

Die Artikel von Finanz-Szene sind urheberrechtlich geschützt und nur für den jeweiligen Premium-Abonnenten persönlich bestimmt. Die Weitergabe – auch an Kollegen – ist nicht gestattet. Wie Sie Inhalte rechtssicher teilen können (z.B. via Pressespiegel), erfahren Sie hier.

Danke für Ihr Verständnis. Durch Ihr Abonnement sichern Sie ein Stück Journalismus!

To top